BachBewegt!Singen!

Johann Sebastian Bach – Kaffee-Kantate

[1.] Recitativo (Tenore)
     Erzähler
Schweigt stille, plaudert nicht
Und höret, was itzund geschicht:
Da kömmt Herr Schlendrian
Mit seiner Tochter Liesgen her,
Er brummt ja wie ein Zeidelbär;
Hört selber, was sie ihm getan!

[2.] Aria (Basso)
     Schlendrian
Hat man nicht mit seinen Kindern
Hunderttausend Hudelei!
Was ich immer alle Tage
Meiner Tochter Liesgen sage,
Gehet ohne Frucht vorbei.

[3.] Recitativo (Soprano, Basso)
     Schlendrian
Du böses Kind, du loses Mädchen,
Ach! wenn erlang ich meinen Zweck:
Tu mir den Coffee weg!
     Liesgen
Herr Vater, seid doch nicht so scharf!
Wenn ich des Tages nicht dreimal
Mein Schälchen Coffee trinken darf,
So werd ich ja zu meiner Qual
Wie ein verdorrtes Ziegenbrätchen.

[4.] Aria (Soprano)
     Liesgen
Ei! wie schmeckt der Coffee süße,
Lieblicher als tausend Küsse,
Milder als Muskatenwein.
Coffee, Coffee muß ich haben,
Und wenn jemand mich will laben,
Ach, so schenkt mir Coffee ein!

[5.] Recitativo (Soprano, Basso)
     Schlendrian
Wenn du mir nicht den Coffee lässt,
So sollst du auf kein Hochzeitfest,
Auch nicht spazierengehn.
     Liesgen
Ach ja!
Nur lasset mir den Coffee da!

     Schlendrian
Da hab ich nun den kleinen Affen!
Ich will dir keinen Fischbeinrock
Nach itzger Weite schaffen.
     Liesgen
Ich kann mich leicht darzu verstehn.
     Schlendrian
Du sollst nicht an das Fenster treten
Und keinen sehn vorübergehn!
     Liesgen
Auch dieses; doch seid nur gebeten
Und lasset mir den Coffee stehn!
     Schlendrian
Du sollst auch nicht von meiner Hand
Ein silbern oder goldnes Band
Auf deine Haube kriegen!
     Liesgen
Ja, ja! nur lasst mir mein Vergnügen!
     Schlendrian
Du loses Liesgen du,
So gibst du mir denn alles zu?

[6.] Aria (Basso)
     Schlendrian
Mädchen, die von harten Sinnen,
Sind nicht leichte zu gewinnen.
Doch trifft man den rechten Ort:
O! so kömmt man glücklich fort.

[7.] Recitativo (Soprano, Basso)
     Schlendrian
Nun folge, was dein Vater spricht!
     Liesgen
In allem, nur den Coffee nicht.
     Schlendrian
Wohlan! so musst du dich bequemen,
Auch niemals einen Mann zu nehmen.
     Liesgen
Ach ja! Herr Vater, einen Mann!
     Schlendrian
Ich schwöre, dass es nicht geschicht.
     Liesgen
Bis ich den Coffee lassen kann?
Nun! Coffee, bleib nur immer liegen!
Herr Vater, hört, ich trinke keinen nicht.
     Schlendrian
So sollst du endlich einen kriegen!

[8.] Aria (Soprano)
     Liesgen
Heute noch,
Lieber Vater, tut es doch!
Ach, ein Mann!
Wahrlich, dieser steht mir an!
Wenn es sich doch balde fügte,
Dass ich endlich vor Coffee,
Eh ich noch zu Bette geh,
Einen wackern Liebsten kriegte!

[9.] Recitativo (Tenore)
     Erzähler
Nun geht und sucht der alte Schlendrian,
Wie er vor seine Tochter Liesgen
Bald einen Mann verschaffen kann;
Doch, Liesgen streuet heimlich aus:
Kein Freier komm mir in das Haus,
Er hab es mir denn selbst versprochen
Und rück es auch der Ehestiftung ein,
Dass mir erlaubet möge sein,
Den Coffee, wenn ich will, zu kochen.

[10.] Coro / Terzetto (Soprano, Tenore, Basso)
Die Katze lässt das Mausen nicht,
Die Jungfern bleiben Coffeeschwestern.
Die Mutter liebt den Coffeebrauch,
Die Großmama trank solchen auch,
Wer will nun auf die Töchter lästern!

 

Was ist eine Kantate?

Das Wort Kantate kommt vom lateinischen »cantare« – das bedeutet »Singen«. Denn gesungen wird auf jeden Fall in einer Kantate, wobei in manchen Kantaten nur eine Stimme singt, in anderen Kantaten mehrere Stimmen oder ein ganzer Chor. Begleitet werden sie von einem oder mehreren Instrumenten, oft einem kleineren Orchester. Fast durchgehend ist ein so genannter »Basso continuo« beteiligt: ein oder mehrere Bass- bzw. Tasteninstrumente. Eine Kantate besteht immer aus mehreren Sätzen, also einzelnen Abschnitten, die sich voneinander unterscheiden. Es gibt Rezitative (da geht es eher um eine Erzählung oder einen Kommentar), Arien (das sind melodisch geprägte und gefühlsbetonte, oft liedartige Sätze), Ariosi (eine Mischform aus Rezitativ und Arie), Chorsätze, Choräle und instrumentale Vor- und Zwischenspiele. All diese Satzarten können sich in beliebiger Anzahl abwechseln.

Hier ist noch eine Erklärung aus einem Lexikon aus der Zeit der Entstehung der Kaffee-Kantate: »Cantata ist eigentlich ein langes Musik-Stück, aus Arien mit untermischten Recitativ; die Composition aber aus verschiedenen Tact-Arten, und gemeiniglich à Voce sola nebst einem Continuo bestehet öffters aber auch mit zwey und mehrern Instrumenten versehen ist.« (Johann Gottfried Walther: Musicalisches Lexikon, 1732)

Kantaten-Aufführung mit der Gaechinger Cantorey und Hans-Christoph Rademann im Mozart-Saal
Kantaten-Aufführung mit der Gaechinger Cantorey und Hans-Christoph Rademann im Mozart-Saal

Bachs Kaffee-Kantate

Erste Seite des handschriftlichen Partitur-Entwurfs zur Kaffee-Kantate
Erste Seite des handschriftlichen Partitur-Entwurfs zur Kaffee-Kantate

Besetzung
Solo-Sopran (Liesgen), Solo-Tenor (Erzähler), Solo-Bass (Schlendrian), Flauto traverso (Traversflöte, Vorgängerin der Querflöte), Violino (Geige) I, II, Viola (Bratsche), Cembalo, Basso continuo (Generalbass, mit Violoncello und Violone, einem barocken Kontrabass-Instrument)

Entstehung
Mitte 1734 komponiert von Johann Sebastian Bach (1685–1750)

Text
Christian Friedrich Henrici, genannt Picander; Erstdruck 1732 (»Über den Caffe«, Satz 1–8). Textdichter von Satz 9–10 unbekannt, evtl. auch Henrici

Die sogenannte Kaffee-Kantate, »Schweigt stille, plaudert nicht« (BWV 211), komponierte Bach 1734. Er nutzte dabei einen Text aus einer zwei Jahre vorher von Christian Friedrich Henrici, genannt Picander, veröffentlichten Gedichtsammlung. Darin wird die Fabel vom Bürgermädchen Liesgen erzählt, die vom Kaffeetrinken nicht lassen mag und darüber in einen Disput mit ihrem Vater Schlendrian gerät. Erst als der Vater ihr einen Mann verspricht, wenn sie dafür auf das Kaffeetrinken verzichtet, stimmt sie zu. An dieser Stelle endet Picanders Dichtung, in Bachs Vertonung allerdings folgt noch ein Rezitativ und ein Terzett, in dem die Abmachung wieder aufgehoben und Liesgen ein Ehevertrag mit Kaffeegenuss-Option versprochen wird, denn »Die Katze lässt das Mausen nicht …« Mit großer Sicherheit kam Bachs »Drama per Musica: Schlendrian mit seiner Tochter Ließgen« (so der Originaltitel) im Zimmermannschen Kaffeehauses zu Gehör. (bach-digital.de)

Johann Sebastian Bach und der Kaffee

Einige Hinweise auf Bachs eigenen Kaffeekonsum finden sich in Abrechnungen von Orgelprüfungen oder Hochzeiten. Außerdem wissen wir aus dem Nachlass, dass sein Haushalt mit diversen Kaffeekannen und anderen Utensilien hinreichend ausgestattet war. Damit ist die Kaffeekantate Bachs einziges Werk, dessen Thema aus seinem eigenen unmittelbaren Lebensumfeld stammen könnte: Von seinen bislang 17 Kindern waren noch 7 am Leben, darunter die Töchter Catharina Dorothea (mit 26 längst eine mögliche Kaffeejungfer) aus erster Ehe und von Anna Magdalena die achtjährige Elisabeth Juliana Friederica, meist nur »Liesgen« genannt.

Johann Sebastian Bach war zudem Gast des berühmten Leipziger Kaffeehauses »Zum Arabischen Coffe Baum«, in das im Laufe seiner 300-jährigen Geschichte zahlreiche weitere prominente Persönlichkeiten einkehrten: August der Starke, Georg Philipp Telemann, Johann Wolfgang von Goethe, Napoleon Bonaparte, Erich Kästner, Heinz Rühmann, Johannes Heesters, Udo Jürgens, Bill Clinton, Otto Waalkes u. a. Falls Ihr mal in Leipzig seid: Das Haus wird derzeit saniert; die Wiedereröffnung des Coffe Baum und des darin befindlichen Kaffeemuseums ist für Frühjahr 2025 geplant.

Coffe Baum in Leipzig (wikimedia / Frank Vincentz)
Coffe Baum in Leipzig (wikimedia / Frank Vincentz)